04.09.2002 - Ruheloser Geist und gestaltete Anmut

„Kogan gehört zu den feinen Lyrikern und könnte seinen Platz haben neben Lehmbruck, zu Füßen Hölderlins“, so charakterisierte der Dichter Ivan Goll 1925 den Bildhauer und Graphiker Moissey Kogan, der nach einem unsteten Wanderleben 1943 in Paris als Jude verhaftet, nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde.

Wer war Moissey Kogan? Rodin und Maillol haben seinem Werk Respekt und hohe Anerkennung bezeugt. Seit 1908 stellte er regelmäßig bis zum 1. Weltkrieg im Pariser Herbstsalon aus. Neben Chagall, Pascin, Kisling und Soutine gehörte der in der damaligen russischen Provinz Bessarabien geborene Bildhauer zu einer Gruppe ostjüdischer Künstler, die in Paris eine zweite Heimat fanden und deren Werk sich unter dem Einfluss der neueren westeuropäischen Kunst entwickelte. Nirgends sesshaft, lebte Kogan an zahlreichen Orten Europas, die zugleich auch bedeutende Kunstzentren waren. Namhafte deutsche Sammler, Museumsdirektoren und Kritiker wie Karl-Ernst Osthaus, Karl With, Max Sauerlandt und Karl Scheffler setzten sich nachdrücklich für ihn ein. 1909 findet Kogan in München Anschluss an den Kreis um Alexej Jawlensky und nahm an der ersten Ausstellung der "Neuen Künstlervereinigung" teil. Seine Tätigkeit als Lehrer an der Folkwangschule in Hagen (1910) sowie an der Kunstgewerbeschule in Weimar (1912) übte er nur kurze Zeit aus. Weder auf Ruhm noch Erfolg bedacht, zog es ihn immer wieder nach Paris, wohin er 1912 sein Domizil verlegte. Nach dem 1. Weltkrieg hielt sich Kogan in der Schweiz und erneut in Deutschland auf. In den 20er Jahren konnte man sein Werke in der Berliner Sezession und in der Galerie Flechtheim sehen, 1927 in New York. In den frühen 30er Jahren knüpfte der Künstler Freundschaften zu holländischen Sammlern und Kunsthändlern, die er jährlich von Paris aus bis 1938 besuchte. In Deutschland war Kogan seit 1933 als jüdischer Künstler verfemt. 1938 waren Arbeiten in der Berliner Ausstellung "Entartete Kunst" zu sehen, viele seiner Werke verschwanden aus den deutschen Museen. Moissey Kogan schuf vor allem Kleinplastiken und Reliefs. Sein bevorzugtes Material war Terracotta, sein Lieblingssujet der weibliche Akt. Die fragile Grazie seiner Figuren, ihre sinnliche und zugleich spirituelle Körpersprache sind von hellenistisch anmutender Heiterkeit. Die innere Unrast, die Kogan zeit seines Lebens umhergetrieben hat, kam in seiner Kunst zur Ruhe. Die stille Welt seiner Akte ist zeitlos und behauptet sich gleichwohl neben den großen Strömungen zeitgenössischer Skulptur. Auch seine Zeichnungen, Radierungen, Linol- und Holzschnitte sind eine Hommage an die weibliche Aktfigur, deren Gesten und tänzerische Posen die Fläche ornamentalisieren. Nach dem 2. Weltkrieg war Kogan nahezu vergessen und nur den Liebhabern seiner Kunst bekannt. 1960 richtete das Clemens-Sels-Museum eine erste Einzelausstellung in Deutschland aus, 1980 erschien eine kleine Monographie über Kogan und in den 90er Jahren wurden zwei Disserationen über den Künstler verfasst. In Zusammenarbeit mit dem Gerhard Marcks Haus in Bremen, wo die Ausstellung anschließend gezeigt wird, gedenkt das Clemens-Sels-Museum mit etwa 90 Skulpturen, Reliefs und Arbeiten auf Papier erneut dieses Lyrikers unter den Bildhauern. Außer dem Eigenbesitz des Clemens-Sels-Museums, werden zahlreiche Leihgaben aus öffentlichen wie privaten Sammlungen Deutschlands, Belgiens und der Niederlande zu sehen sein. Die Ausstellung bietet seit vielen Jahren erstmalig wieder die Gelegenheit, diesen wahrhaft außergewöhnlichen Künstler und sein Werk umfassend kennen zu lernen.- Ausstellung und Katalog werden von der Stiftung Kunst und Kultur des Landes Nordrhein Westfalen, des Vereins der Freunde und Förderer des Clemens-Sels-Museums Neuss e.V., von der Kultur-Stiftung der Deutschen Bank, Bremen, und der Bremen Marketing GmbH unterstützt.