'Oliver' begeistert bei Premiere im Globe
'Oliver' begeistert bei Premiere im Globe

'Oliver' begeistert bei Premiere im Globe

Lesen Sie hier die Kritik aus der NGZ vom 22. September 2014

Neuss. Die Musicaladaption des Romanklassikers "Oliver Twist" von Charles Dickens, eine Co-Produktion des Kulturforums Alte Post und der Musikschule Neuss, überzeugte im Gobe. Regisseur Hans Ennen gelang eine schonungslose Inszenierung.

Von Susanne Zolke

Grütze! Nichts als Grütze. Das ist es, was die Waisenkinder, die in einer englischen Kleinstadt in einem Armenhaus leben, zu essen bekommen. Sich ihrer miserablen Lage bewusst, skandieren sie es lautstark im Chor. Viel mehr dürfen sie aber nicht erwarten - weder an Nahrung, noch vom Leben.

Die Armut und Aussichtslosigkeit der Kinder wird schon in der ersten Szene des Musicals "Oliver!", das am Samstag seine Premiere im Globe hatte, plastisch vor Augen geführt. Auch sonst gelang es Regisseur Hans Ennen fast immer, die Musicaladaption des Klassikers von Charles Dickens überzeugend und unterhaltsam auf die Bühne zu bringen.

"Etwas mehr" ist alles, was der elfjährige Waisenjunge Oliver Twist, dessen höfliche, aber bestimmte Art in der Verkörperung durch Marwin Iglesias eine passgenaue Besetzung findet, vom Heimvorsteher Mr. Bumble erbittet. Ein Eklat. Damit derartige Auswüchse keine Nachahmer unter den Heimkindern finden, wird Oliver verkauft - drei Pfund bietet ein Sargtischler für den Jungen und erhält den Zuschlag.

Die menschenverachtenden Lebensverhältnisse im England der Frühindustrialisierung führen zu Ideen, die an Zynismus kaum zu überbieten sind. Als Leichenbegleiter speziell für Kinderbeerdigungen soll Oliver dem Geschäft neuen Aufschwung bringen. Oliver flieht jedoch nach London.

Neben eher kargen Bühnenrequisiten sorgt eine Videoprojektion grobkörniger Schwarz-Weiß-Bilder für die richtige Stimmung. Ein weiterer Kniff von Hans Ennen: Um die Szenen zu verknüpfen, tritt ein Erzähler auf, der Originalpassagen aus Dickens' Roman vorliest.

 

In den Straßen Londons wird Oliver von einer fröhlichen Diebesbande in Empfang genommen. Eine der besonderen Stärken der Inszenierung: Von einer Sekunde zu anderen wandelt sich das Bühnengeschehen von einem einsamen Ort, den allein der halb verhungerte Oliver ausfüllt, zu einem lauten Straßenzug. Kostüm, Maske und Gesang, gepaart mit einer perfekt abgestimmten Choreographie, ergeben eine mitreißende Szenerie, die von einem erstklassig spielenden Orchester der Musikschule Stadt Neuss begleitet wird. Auch die Bühnensolos, wie das des sowohl diabolischen als auch zweifelnden Gaunerkönigs Fagin (genial bizarr gespielt von Harry Heib) veranlassten das Publikum immer wieder zu spontanem Beifall.

Die wenigen Längen in dem knapp drei Stunden dauernden Musical entstehen dann, wenn das Stück mehr sein will, als ihm gut tut. Plötzliche, tiefgreifende Liebesarien laufen trotz hohen stimmlichen Könnens Gefahr, fehl am Platz zu wirken.

Für den Waisenjungen Oliver nimmt die Geschichte letztlich ein gutes Ende, für ein reines Happy End ist der gesellschaftskritische Stoff allerdings nicht angetan. Im wörtlichen Sinne wird der Stab des Bösen weitergegeben.

Eine gelungene, schonungslose Inszenierung, die die Aktualität des Klassikers vor Augen führt und das Premierenpublikum genauso zwingend zum Nachdenken wie zu tosendem Schlussapplaus anregten.

Quelle: NGZ

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