04.06.2008 - Süße Versuchung aus dem Mittelalter | Rezept für Neusser Knappkuchen rekonstruiert

Nicht nur Aachen und Nürnberg, sondern auch Neuss war im Mittelalter eine weithin bekannte Kuchenbäckerstadt.

Das Rezept für die hier vor 500 Jahren gebackenen Knappkuchen konnte jetzt von Mitarbeitern des Clemens-Sels-Museums Neuss in Zusammenarbeit mit dem Neusser Konditor Michael Wegel rekonstruiert werden. Bei dem Gebäck handelt es sich um etwa Handteller große Honigkuchenplätzchen, die Gewürze wie Ingwer und Zimt enthalten und geschmacklich an Lebkuchen erinnern. Bürgermeister Herbert Napp probierte die ersten Exemplare direkt in der Backstube der Konditorei und zeigte sich begeistert.

Aachener Printen, Nürnberger Lebkuchen – und Neusser Kuchen: Bereits vor 500 Jahren war Neuss ein wichtiger Standort der Lebensmittelproduktion. Die Produkte der „Koichenbecker“ in der „food city“ waren weithin bekannt. Ihre Knappkuchen wurden auf den Jahrmärkten und während der Wallfahrten zu den Reliquien des Heiligen Quirinus, dem Stadtpatron von Neuss, in großen Mengen verkauft. Als Neuss 1474/75 von den Truppen des Herzogs von Burgund belagert wurde, lagerten 500 Tonnen Honig in den Häusern der Neusser Kuchenbäcker. Die Knapkuchen dienten der Stadt Neuss auch als Geschenk für Gäste. Das süße Gebäck fand selbst auf exquisiten Tafeln Platz: 1501 verschenkte der Kölner Erzbischof Hermann von Hessen an die Herzöge von Cleve und Jülich-Berg je zwei „Neusser Kuchen“. Im Düsseldorfer Schloss kredenzte man die Neusser Spezialität sogar schon 1440 fürstlichen Besuchern. Mit dem Niedergang der Quirinus-Wallfahrten zur Zeit des 30-jährigen Krieges fand auch die Neusser Kuchenbäckerei ihr Ende. Das Rezept und die Zutaten gerieten in Vergessenheit. Erst jetzt konnte es an Hand von archivalischen Unterlagen aus dem Neusser Stadtarchiv wieder rekonstruiert werden.

Während heute in Neuss die Knappkuchen nur noch aus historischen Quellen bekannt sind, hat sich die Bezeichnung bis jetzt noch im niederländisch-belgischen Maasgebiet, mit  der die Quirinusstadt einst enge wirtschaftliche Kontakte erhielt, erhalten. Der hier gebackene „knapkoek“, eine vor allem  im belgischen Maaseik hergestellte kulinarische Spezialität, ist aber durch moderne Zutaten wie Kandiszucker verfälscht und lässt sich „nur“ bis in das 17. Jahrhundert zurückverfolgen.

Ob die Neusser Knappkuchen auch im 21. Jahrhundert ihre Liebhaber finden, wird sich am Wochenende beim Hansetag in Salzwedel zeigen. Dort werden die Knappkuchen am Stand der Stadt Neuss auf dem Hansemarkt an Gäste und Besucher verteilt. Aber auch die Neusser brauchen auf die mittelalterliche Spezialität nicht verzichten: Sie wird in der Konditorei Wegel an der Michaelstraße zum Kauf angeboten.
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